Neumünster (rj) Sorgen von übermorgen: Die Gesamtverantwortung für die Daseinsvorsorge vor Ort wird von den Kommunen getragen. Damit fällt ihnen der größte Brocken bei der Gestaltung des demografischen Wandels zu.

Die Menschen leben länger als früher, in unserer Gesellschaft leben immer mehr Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen und wir bekommen weniger Kinder als zu Zeiten unserer Eltern und Großeltern. Drei Entwicklungen, die auch Neumünster betreffen und sie vor eine große Herausforderung stellt.
Das Stadtmagazin hat dazu die fünf in der Ratsversammlung vertretenen Parteien befragt: Wo sehen sie die wichtigsten Handlungsfelder in Neumünster, um die Probleme und Risiken, die mit dem demografischen Wandel einhergehen, erfolgreich zu lösen? Gibt es neben den Risiken auch Chancen, die die Veränderung der Gesellschaft mit sich bringt?

SPD: Alt & Jung unter einem Dach
Sinkende Geburtenraten und eine kontinuierliche Steigerung der Lebensdauer führen mittel- bis langfristig zu einer erheblichen Veränderung der Altersstrukturen in Neumünster. Dabei ist die Stadt vom demografischen Wandel in besonderer Weise betroffen. Allerdings gilt dies nicht allein für ihre Seniorenpolitik bzw. -arbeit. Vielmehr gibt es Rückwirkungen auf die Wohnungsbau-, Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik, auf Steuer-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, auf die Politik in Bildung, Kultur und Sport sowie natürlich auf die verschiedenen Facetten der Sozialpolitik und Infrastrukturversorgung. Diese einzelnen Zahnräder gilt es zu synchronisieren, damit sie in Zukunft für ein lebenswertes Neumünster sorgen. Aus Sicht der Sozialdemokratie spielt dabei der Begriff der „Daseinsvorsorge“ eine ganz besondere Rolle. Gerade im Bereich des demografischen Wandels stehen uns große Herausforderungen bevor, die nur durch ein solidarisches Miteinander von Jung und Alt, von Erwerbstätigen und Rentnern, von Bedürftigen und Leistungsstarken bewältigt werden können. Dabei muss es Ziel sein, einen gesunden Mix aus staatlichen wie auch freien Trägern, zum Beispiel im Bereich der Pflege, zu erzielen. Neue Konzepte der Seniorenbetreuung wie Mehrgenerationswohnprojekte können ein guter erster Schritt sein. Mit diesen Projekten ist auch eine zu erwartende Kostenexplosion einzudämmen. Kostenfreie Kinderbetreuung, zukunftsorientierte Bildungsangebote, ein günstiger Nahverkehr und eine hochwertige medizinische Versorgung werden auch in der Zukunft unser sozialdemokratisches Ziel sein.

CDU: Wohnungen anpassen
Wie jede andere Kommune steht auch Neumünster durch die sich verschiebende Altersstruktur vor großen Veränderungen. Dieser Anpassungsprozess ist eine komplexe Koordinierungsaufgabe für Politik, Verwaltung und Bürger. Der Umbau der Altersstrukturen ist gravierend und wird große Auswirkungen auf die verschiedensten Infrastrukturbereiche haben. Eine stabile Wirtschaftsentwicklung ist für Neumünster enorm wichtig. Die Anhebung der Zahl von Erwerbsfähigen und Erwerbstätigen ist eine der größten Herausforderungen, der wir uns stellen müssen. Ohne gut ausgebildete Fachkräfte vor Ort bzw. in der Region ist der Wirtschaftsstandort Neumünster für Unternehmen wenig attraktiv. Dieses soziale Problem müssen wir in den Griff kriegen. Eine weitere Herausforderung stellen die Strukturen der Haushalte im Stadtgebiet dar. Es werden mehr Einzel- bzw. Zweipersonenhaushalte vorhanden sein. Obwohl es weniger Einwohner geben wird, wird die Anzahl der Haushalte aller Voraussicht nach steigen. Dem Alter entsprechend müssen die Wohnungen den Bedürfnissen angepasst und ausgestattet werden. Dazu bedarf es großer finanzieller Anstrengungen. Es gibt noch eine Vielzahl von Aufgaben, denen wir uns im Zusammenhang mit der Demografieentwicklung stellen müssen. In Zukunft wird es darauf ankommen, die bereits bestehenden gutnachbarschaftlichen Beziehungen mit den Umlandgemeinden weiter auszubauen. Der Strukturwandel betrifft alle Kommunen und hat Auswirkungen weit über die Gemeindegrenzen hinweg. Die Region Neumünster ist stark, wenn es uns gelingt, gemeinsam den Wandel zu gestalten.

Bündnis für Bürger: Steuervorteile für Pflegende
Der demografische Wandel stellt unsere Gesellschaft und damit die Politik vor neue Herausforderungen. Wenn auch die meisten Änderungen und Impulse auf Bundesebene stattfinden müssen, ist es durchaus möglich, vor Ort zu handeln. Was nützt es beispielsweise Wohnungen zu bauen, die finanziell nicht tragbar sein werden, da in den nächsten Jahren immer mehr Ältere von kleinen, nicht auskömmlichen Renten werden leben müssen und damit auf Grundsicherung angewiesen sein werden? Gefördert werden müsste generationenübergreifendes Wohnen oder „Alters-WGs“ und die Nahversorgung für ältere Menschen. Hier sind die ersten richtigen Ansätze bei der Wobau zu verzeichnen, die barrierefreien Wohnraum in der Böcklersiedlung geschaffen hat. Weiter ist ein Projekt im Stadtteil Tungendorf in Planung, das in diese Richtung geht. Senioren müssen ihren Stadtteil nicht verlassen, sondern können in ihrem Wohn- und Lebensumfeld verbleiben. Ein weiteres Problem, das es zu lösen gilt, sieht das Bündnis für Bürger in der Tatsache, dass Angehörige, die pflegen, keine gerechte gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung für ihre Leistung bekommen. Daher wird sich unserer Ansicht nach der Anteil der älteren Menschen in den Heimen vergrößern. Ein Lösungsansatz wären hier weitgehende Steuervorteile für Pflegepersonen, die allerdings nur auf Bundesebene umzusetzen sind. Der Überalterung unserer Gesellschaft kann nur entgegen gewirkt werden, wenn es für junge Familien attraktiv ist Kinder zu bekommen. Das heißt ausreichend Kinderbetreuungsplätze, gut ausgestattete Schulen und Freizeitmöglichkeiten.

Die Grünen: Jobangebote verbessern
In den Kommunen sind die unmittelbaren Auswirkungen der geänderten Altersstruktur einer Gesellschaft immer am stärksten spürbar sei es etwa durch die sich ändernde Zahl der Schüler und bei der Frage, wie und welche Schulen zukünftig noch gebraucht werden, sei es eine wachsende Zahl von Senioren. Aber die Kommunen tragen keinesfalls die „größten Brocken“ bei der Gestaltung dieses Wandels. Dazu fehlen ihnen einfach die Mittel. Die Hauptaufgabe hier liegt ganz eindeutig beim Bund, der die soziale Sicherung bestimmt, organisiert und regelt. Das Land wiederum kann durch seine Schul-Gesetze und -Politik ähnliche oder sogar stärkere Auswirkungen auf Schulstandorte haben als die Entwicklung der Schülerzahlen (beispielsweise freie Schul-Wahlen bereits ab der Grundschule oder die verstärkte Zulassung neuer Oberstufen im Umland). Die Kommunen übernehmen häufig lediglich die Ausführung von Bundesoder auch Landesregeln bei aktuell unzureichender Finanzausstattung durch die Besteller dieser Leistungen. Daher sind ihre Möglichkeiten, Antworten auf die Auswirkungen des demografischen Wandels zu geben, sehr begrenzt. Letztlich wird es nur um eine permanente Anpassung an die Veränderungen gehen können und um die Steigerung der Attraktivität des Standortes. Attraktivität und Angebote an Ausbildung sowie Arbeitsplätzen werden darüber entscheiden, ob junge Menschen nach der Schule am Standort Neumünster bleiben und ob jüngere und mittelalte Menschen zuziehen. Die Antwort auf die Herausforderungen des Wandels kann daher nur lauten: stetige Anpassung und Veränderung.

FDP: Lebensqualität & Wirtschaftsschub
Neumünster wird bis 2025 acht Prozent ihrer Bevölkerung verlieren. Gleichzeitig nimmt die Zahl der 3- bis 19-Jährigen um 23 Prozent ab. Der Anteil der 50- bis 60-Jährigen wird sich um zwölf Prozent erhöhen, die Zahl der über 79-Jährigen sogar um 51 Prozent. Kommunen mit hoher Lebensqualität und Wirtschaftswachstum können dieser Entwicklung entgegenwirken. Diese Chance hat Neumünster ergriffen mit den Ansiedlungserfolgen der letzten Jahre. Begleitet werden muss diese Politik durch die Verbesserung der Lebensqualität auch im öffentlichen Raum. Erste Erfolge lassen sich auch hier erkennen. Die demografische Entwicklung ist eine gewaltige Herausforderung für jede Kommune in Schleswig-Holstein. In vielen Lebensbereichen wie Wohnen, Pflege, Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeitsmarkt und Kultur muss dieser langfristigen Entwicklung Rechnung getragen werden. Im Rahmen der Haushaltsberatungen hat die Ratsversammlung die Errichtung einer Koordinierungsstelle Demografie-Management beschlossen. Diese Stelle soll eine Entwicklungsplanung aufzeigen, mit konkreten Handlungsempfehlungen für Verwaltung und Politik. Entscheidungen, die wir heute treffen, müssen den oben genannten Entwicklungen angepasst werden. Von uns Kommunalpolitikern verlangt dies ein Umdenken von kurzfristig an Wahlperioden orientiertem Handeln zu einer langfristigen Planung. Die Verwaltung ist aufgefordert, bei allen Planungen und Vorlagen ressortübergreifend dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Neumünster hat die Probleme, die durch diese Entwicklung entstehen können, erkannt.