Neumünster (em) Bei ihrem Besuch der Diakonie Altholstein informierte sich CDU-Bundestagsabgeordnete Melanie Bernstein über die Herausforderungen im Bereich der sozialen Hilfs- und Beratungsangebote. Dass hier die Auswirkungen der Pandemie weiterhin spürbar sind und sich die Armutslagen verschärfen, berichtete Vanessa Trampe-Kieslich, Geschäftsbereichsleitung Soziale Hilfen.

Wie die Bilanz der Neumünsteraner Schuldnerberatung zeigt, sind besonders diejenigen betroffen, die vor der Pandemie ihre Sozialleistungen mit Minijobs oder Teilzeitbeschäftigungen aufgebessert haben. „61 Prozent unserer Klient*innen beziehen Transferleistungen in Form von Arbeitslosengeld II oder Grundsicherung“, sagt Vanessa Trampe-Kieslich. Dies spiegelt sich auch im 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wider: Bis Ende August 2020 mussten bereits 15,5 Millionen Haushalte in Deutschland Einkommenseinbußen hinnehmen. Darunter zu leiden hatten laut dem Regierungsbericht vor allem "Gering- und Normalverdiener". Teilt man die Bevölkerung in fünf gleichgroße Teile (Quintile), so berichteten gut 30 Prozent der Befragten im untersten Quintil von Problemen bei der Deckung der laufenden Ausgaben.

Gerade um diese Zielgruppe zu erreichen, wurden bereits Videokonferenzen genutzt, die laut Melanie Bernstein weiter verstetigt werden sollten: „Grundsätzlich kann mit der Verbreitung des Angebotes auf dem digitalen Weg die erste Hürde bereits genommen werden“, setzt die Bundestagsabgeordnete im Prozess der Digitalisierung auf einen kreativen und niedrigschwelligen Ansatz. „Wichtig ist, dass wir den Ratsuchenden persönliche Hilfe und individuelle Unterstützung anbieten. Dass häufig der Erstkontakt digital stattfindet, begrüßen wir sehr, da wir tatsächlich dadurch mehr Menschen erreichen. Danach aber brauchen die Ratsuchenden den direkten Kontakt und eine persönliche Anbindung, um ihr Handeln und ihre Optionen angemessen reflektieren zu können“, sehen es Vanessa Trampe-Kieslich und ihre Fachbereichsleitung in der Schuldnerberatung, Sibylle Schwenk, ähnlich.

702 Menschen suchten 2020 Rat in der Allgemeinen Sozialen Schuldnerberatung. Das sind 81 mehr als im Vorjahr. Durch die Pandemie gehören nun mehr Personen zu den Armutsgefährdeten. „Umso wichtiger war es, dass wir durchgehend angepasst an die jeweilige Situation, unser Beratungsangebot aufrechterhalten haben“, berichtet Heinrich Deicke, Geschäftsführer der Diakonie Altholstein, „die gestiegenen Zahlen zeigen die Notwendigkeit unserer professionellen Hilfe und Unterstützung.“

Vor Corona sind viele von ihnen einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und befinden sich nun aber pandemiebedingt in Kurzarbeit oder Arbeitslosengeld I. Viele dieser Menschen werden vermutlich aufgrund des verringerten Familieneinkommens ihre Dauerschuldverpflichtungen wie Ratenzahlungskäufe, Kleinkredite oder hohe Wohnkosten nicht mehr bedienen können und geraten so in die Überschuldung. Erfahrungsgemäß wird es jedoch etwa bis zu vier Jahre dauern, bis diese Menschen sich hilfesuchend an eine Schuldnerberatungsstelle wenden. Bereits in diesem Jahr hat die Schuldnerberatung allerdings bei den Ratsuchenden im ALG I Bezug eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr auf 8 % verzeichnet.

Die Zahlen der angemeldeten Insolvenzverfahren sind 2020 hingegen gefallen. Lediglich 395 Ratsuchende haben sich für eine Verbraucherinsolvenzberatung angemeldet. 2019 waren es noch 418. „Die geringere Zahl lässt sich auf die bereits im Jahr 2019 angekündigte Insolvenzrechtreform zurückführen“, sagt Vanessa Trampe-Kieslich. Diese eigentlich für Sommer 2022 geplante Reform, die eine Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre beinhaltet, trat aufgrund der Corona-Situation bereits am 1. Oktober 2020 in Kraft. „Wir haben daher gerade zum Jahresbeginn wieder deutlich mehr in der Insolvenzberatung zu tun gehabt. Im Vergleich zum ersten Halbjahr im Vorjahr (74 Verfahren) stiegen die beantragten Verfahren um 12% auf 83 Verfahren an.“, verdeutlicht die Vanessa Trampe-Kieslich die aktuelle Lage.

Foto: Heinrich Deicke, Geschäftsführer und Vanessa Trampe-Kieslich, Geschäftsbereichsleitung Soziale Hilfen, der Diakonie Altholstein, empfingen Erhard Christian Schättiger, Neumünsteraner Kreisvorsitzender der Senioren Union Schleswig-Holstein und CDU-Bundestagsabgeordnete Melanie Bernstein (v.li.). © Diakonie Altholstein/Nagel