Norderstedt (em) Leni sieht ihren Vater das erste Mal, als er nach Ende des Zweiten Weltkrieges von der Front nach Wien heimkehrt. Der Papa hatte ausgesehen wie ein Gespenst und abstoßend gerochen. In den Augen der Tochter war er ein Fremder. Sie mochte ihm noch nicht einmal einen Begrüßungskuss geben.

Das Verhältnis bleibt angespannt, auch als das Mädchen im Winter 1948 endlich aus der strengen Klosterschule zu ihren Eltern zurückkommen darf. Lenis Eltern betreiben eine Gaststätte. Die Arbeit beansprucht beide voll und ganz. Die neunjährige Leni bleibt meist sich selbst überlassen, mit all ihren Ängsten. Aus dem Schrank in ihrem Zimmer kommen nachts unheimliche Geräusche, und die Stadt draußen vor der Tür ist absolut unwirtlich mit ihren zerbombten Häusern, den tiefen Bombenkratern und den Trümmerhaufen.

Leni sucht einen Ausweg aus ihrer Misere, und sie findet ihn. Schrittweise und mit viel Mut erobert sie sich ihre Umgebung. Sie lernt Menschen kennen, die anders denken, handeln und fühlen als ihre Familienangehörigen oder die Stammgäste im Schankraum. Dabei entdeckt sie auch die Musik, den wundervollen Klang von Trompeten, der sie aufbaut und aufleben lässt. Leni lässt sich nach ihren neuen Erfahrungen immer mehr von der Melodie ihres Herzens leiten, bis sie schließlich ihr eigenes Leben entdeckt. Die Ahrensburger Autorin Susanne Orosz beschreibt das Leben von Leni höchst einfühlsam in ihrem neuen Jugendbuch „Lenis Lied“, das mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2014 ausgezeichnet wurde.

Sie liest daraus in der derzeitigen Foto-Sonderausstellung des Stadtarchivs, die die „Kindheit in der Nachkriegszeit“ zum Thema hat. Lenis Lied spielt in Wien. „Letztlich ist Lenis Geschichte aber auch auf deutsche Großstädte übertragbar“, so Susanne Orosz. Die Gestalt Leni hatte sie mit der Idee zu dem Buch gleich spontan vor Augen. „Das ist ein Mädchen, das sich nicht unterkriegen lässt“, beschreibt sie den wesentlichen Wesenszug ihres Hauptcharakters. „Leni hat sich entschieden, ihrer inneren Stimme zu folgen, und mit der Musik entdeckt sie dabei eine Leidenschaft, für die es sich zu leben lohnt.“ „Lenis Lied“ ist ein Kinder- und Jugendbuch. Doch Susanne Orosz empfiehlt es durchaus auch Erwachsenen: „Es wäre schön, wenn die Erwachsenen mit den Kindern über die Themen des Buches ins Gespräch kommen, als Mentoren gewissermaßen.“

Autorenlesung am Donnerstag, 18.6.15, 18.30 Uhr
Stadtmuseum Norderstedt, Friedrichsgaber Weg 290
Eintrittspreis für Lesung und den Besuch der Sonderausstellung: 8.00 Euro