Norderstedt (em) Seit 2011 wird das Kompetenzzentrum Demenz durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein und den Spitzenverband der Pflegekassen gefördert. Aus der Landesagentur Demenz entstanden, ist das Kompetenzzentrum eine feste Institution zu allen Fragen rund um das Thema Demenz in der Gesundheits- und Pflegelandschaft in Schleswig-Holstein geworden. Trotzdem muss das Modellprojekt immer wieder um weitere Förderperioden bangen. Die aktuelle Laufzeit endet in diesem Juni.

Da das Zehnjährige aufgrund der Pandemie nicht öffentlich gefeiert werden konnte, hat das Kompetenzzentrum zusammen mit einem Grafiker ein buntes zweiseitiges Plakat erstellt. Ähnlich einem Wimmelbild veranschaulicht es die Bandbreite an Themen und Angeboten, die das Kompetenzzentrum im Land angeschoben hat. Das Plakat wurde nun an die vielen Kooperationspartner und Wegbegleiter verschickt. Es ist auch unter www.demenz-sh.de/wir-ueber-uns/ abrufbar.

Aktuell weist das Kompetenzzentrum Demenz auf sein Jahresprogramm hin: unter www.demenzsh. de/bildungsangebote/das-jahresprogramm/ sind die 18 Präsenz- und 16 Online-Fortbildungen in 2022 aufgeführt. Die Veranstaltungen im Februar und März werden ausschließlich digital angeboten.

Interview mit Swen Staack, Leiter des Kompetenzzentrums Demenz, Geschäftsführer der Alzheimer Gesellschaft Schleswig-Holstein e.V. und Vorstandsmitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V.

Herr Staack, viele Menschen meiden das Thema Demenz. Was reizt Sie, sich so intensiv mit Demenz zu befassen?
Menschen mit Demenz sind in unserer Gesellschaft eine der vulnerabelsten Gruppen überhaupt und können sich im Gegensatz zu Menschen mit anderen Erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium ihrer Erkrankung nicht mehr oder nur schlecht für ihre eigenen Interessen einsetzen. Zudem ist eine Demenzerkrankung häufig immer noch ein Tabuthema. Dazu kommen oftmals überforderte Angehörige. Schon während meines Studiums mit dem Schwerpunkt „Soziale Arbeit mit älteren Menschen“ habe ich gemerkt, dass es hier eine Menge zu tun gibt. Mich reizt folglich besonders die Herausforderung, das Leben von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen lebenswerter zu machen.

Sie setzen sich jetzt seit rund 20 Jahren in Schleswig-Holstein und auch bundesweit für die Verbesserung der Situation von Menschen mit Demenz und ihren Zugehörigen ein. Was hat sich in dieser Zeitspanne verändert?
Eine ganze Menge. Aus einem absoluten Randthema in Politik und Gesellschaft ist ein öffentliches Thema geworden. Alzheimer Gesellschaften sind entstanden, in Schleswig-Holstein gibt es inzwischen flächendeckend Pflegestützpunkte, Entlastungs- und Unterstützungsangebote haben sich vervielfacht. Demenz findet sich in vielen Filmen und Büchern wieder und auch Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen gehen mehr und mehr in die Öffentlichkeit. Angesichts der stetig gestiegenen und weiter zunehmenden Zahlen von Demenzerkrankten war das aber auch nötig.

Was sehen Sie als den größten Erfolg des Kompetenzzentrums Demenz an?
Gemeinsam für Menschen mit Demenz in Schleswig-Holstein Das Kompetenzzentrum Demenz war ja eines der ersten seiner Art in Deutschland und so sind wir für eine Menge Themen Vorreiter. Kleine Erfolge gibt es viele. In den letzten 10 Jahren haben wir weit über 40 verschiedene Projekte und Initiativen angeschoben, durchgeführt, evaluiert und verstetigen können. Broschüren entwickelt, Fortbildungen konzipiert und durchgeführt und Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Der größte Erfolg ist aber sicher, dass wir als eines der ersten Bundesländer einen vom Landtag verabschiedeten Demenzplan haben, der die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Demenz und deren Angehörige mit 80 Empfehlungen im Fokus hat. Politisch von allen Parteien gewollt und unterstützt. Das ist schon großartig und besonders. Und im Gegensatz zur Nationalen Demenzstrategie wird er konkret mit Leben gefüllt und bleibt nicht nur ein Papiertiger mit vagen Absichtserklärungen. -

Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit besonders?
Das Team im Kompetenzzentrum Demenz ist eine tolle Ansammlung von Expertinnen mit ganz verschiedenen Wissensgebieten im Themenfeld Demenz und ganz individuellen Stärken. Die Zusammenarbeit macht deshalb auch nach langer Zeit noch immer ungeheuer Spaß. Besonders die Freiheit zu haben, Neues zu wagen, probieren zu dürfen, individuell auf die Bedürfnisse und Wünsche von Betroffenen und Professionellen eingehen zu können. Diese Freiheit erleichtert Innovation und Kreativität ungemein. Aber auch die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Akteuren und der Politik im Land ist beeindruckend. Hier gibt es bei dem Thema Demenz kaum Befindlichkeiten und meist wird an einem Strang gezogen. Da macht unsere Arbeit leichter und frisst weniger Energie durch Kompetenzgerangel wie in anderen Bundesländern.

Welchen Einfluss hat die Coronapandemie auf Ihre Arbeit, auf Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sowie auf die professionelle Pflege?
Uns geht es in der Pandemie natürlich nicht anders als allen übrigen Institutionen und Einrichtungen der Altenhilfe oder Pflege. Unsere Arbeit ist virtueller geworden, persönliche Kontakte fehlen und manches musste aufgrund der Pandemiebestimmungen verschoben oder abgesagt werden. Wesentlich schwerer hat es aber die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen getroffen. Überzogene Besuchsverbote, rigide Vorschriften in Pflegeheimen, die Angst als Risikogruppe vor eigener Erkrankung. Da kam eine Menge zusammen. Natürlich war es für Alle neu und die Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit schwierig, aber ich hoffe, alle und besonders die Politik haben aus den letzten Jahren gelernt. Wirklich glauben kann ich es angesichts der gerade wieder anziehenden Maßnahmen allerdings nicht.

Wo sehen Sie zurzeit die größten Veränderungsbedarfe und die schwierigsten Aufgaben? Angesichts der in den nächsten Jahren wohl weiter stetig steigenden Zahl von Menschen mit Demenz steht nach wir vor die Enttabuisierung der Erkrankung im Vordergrund. Noch immer wird zu wenig über das Thema Demenz gesprochen und es gilt vielerorts als Stigma. Aber auch die Betreuungs- und Entlastungsangebote sind kräftig ausbaufähig und müssten den Bedürfnissen der Betroffenen z.B. durch mehr mobile Angebote angepasst werden. Die größte Sorge liegt aber wohl außerhalb unseres Einflussbereiches. Der stetig wachsende Personalmangel in der Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz und anderen Pflegebedürftigen. Wenn hier zeitnah keine Lösungen gefunden werden, droht eine Katastrophe.

Was wünschen Sie sich für ein gutes Leben mit Demenz in der Gesellschaft?
Dass Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen trotz Erkrankung weiter in der Gesellschaft möglichst lange integriert bleiben können und sie die nötige Unterstützung und Hilfe bekommen. Egal ob auf dem Land oder in der Stadt. Und endlich einmal Forscher, die nach über 20 Jahren Erfolge verkünden, was die medizinische Behandlung angeht. Hier stagniert es nun schon seit Jahrzehnten mit immer wiederkehrenden unerfüllten Versprechungen. Das ist angesichts des hohen finanziellen Aufwandes, wirklich nur schwer zu verstehen. -

Herr Staack, wir bedanken uns für das persönliche Gespräch und Ihre Einblicke! Sehr gerne, wir stehen immer gerne mit unserer Fachlichkeit, den Ideen und den Netzwerken zur Verfügung.