Norderstedt (em) Prof. Dr. Rüdiger Soltwedel, Sprecher des „Bündnis für Wirtschaft im Kreis Segeberg“ erläuterte zusammen mit Ulrich Graumann, WKS Segeberg, Bernd Jorkisch, Vicepräses der IHK zu Lübeck, Thomas Kenntemich, Vorsitzender der Agentur für Arbeit Elmshorn sowie Jan Peter Schröder, Landrat des Kreises Segeberg, die Pläne des „Bündnis für Wirtschaft“, einen Workshop zu dem Thema „Zukunftshoffnung Migration ─ Wege zu einer besseren Willkommenskultur“ durchzuführen.

Soltwedel unterstrich, dass es handfeste ökonomische Gründe dafür gibt, Wege für eine bessere Willkommenskultur zu erkunden: Der demografische Wandel und seine Folgen, die Sicherung der Sozialversicherungssysteme sowie der Fachkräftemangel sind nur drei Stichworte, die die Notwendigkeit einer in Zukunft noch verstärkten Zuwanderung nach Deutschland deutlich machen.

Deutschland steht aber mit seinem gesellschaftlichen Alterungsprozess nicht allein da ─ auch andere Industriestaaten spüren diese Zwänge. Deutschland muss also mit diesen um Zuwanderer konkurrieren. Und wie wir in diesem Wettbewerbsprozess abschneiden, hängt nicht zuletzt davon ab, wie wir den Flüchtlingen begegnen. Empirische Studien zeigen, dass Personen mit Migrationshintergrund eine deutlich niedrigere Lebenszufriedenheit haben, wenn sie in Regionen leben, in denen die einheimische Bevölkerung stärker fremdenfeindlich eingestellt ist. Dieser negative Effekt wirkt besonders stark auf hochqualifizierte Migranten. In der Folge sinkt die Bereitschaft der Migranten, weiterhin in Deutschland zu bleiben. Dies macht deutlich: Investitionen in die Willkommenskultur sind ein wichtiges Element im interregionalen und internationalen Standortwettbewerb.

Die Zielsetzung des geplanten Workshops beschrieb Soltwedel folgendermaßen: „Wir wollen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Chancen, die mit Migration verbunden sind, deutlich machen und darüber diskutieren, wie wir diese Chancen nutzen und Probleme und mögliche Risiken vermindern bzw. vermeiden können. Wichtig ist vor allem, Ängste bei den Zuwanderern abzubauen, die oft tiefgreifende traumatische Erlebnisse hinter sich haben. Aber es geht auch darum, die Berührungsängste in der heimischen Bevölkerung zu erkennen und abzubauen. Wir möchten einladen zu einer breiten Diskussion darüber, was unter einer ‚besseren Willkommenskultur‘ zu verstehen ist.“ Auf regionaler und lokaler Ebene können wichtige Akzente gesetzt werden, die es zugewanderten Arbeitskräften erleichtern, Hürden bei der Integration in die Arbeitswelt und die lokale und regionale gesellschaftliche Umwelt zu überwinden.

Auf dieses Ziel hin könnten sich die Maßnahmen ausrichten, die wir vom „Bündnis für Wirtschaft“ diskutieren möchten. Landrat Jan Peter Schröder begrüßte die Initiative des „Bündnis für Wirtschaft“ und der WKS. Sie sei auch deshalb hilfreich, weil in diesem Jahr einen sprunghaften Anstieg der Flüchtlingszahlen (nach rd. 700 werden für 2015 bis zu 1900 Flüchtlinge erwartet) kommen wird. Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge stellt auch den Kreis Segeberg vor große Herausforderungen. Jan Peter Schröder zeigte sich aber überzeugt davon, dass der Zustrom von Flüchtlingen und Migranten für die Gesellschaft insgesamt eine große Bereicherung mit sich bringen wird, wenn er eingebettet ist in eine offene und auf Integration gerichtete Willkommenskultur.

Neben der Teilhabe am Gesellschafts- und Arbeitsleben beschreibt eine solche Willkommenskultur die Offenheit und die Toleranz in der Bevölkerung im Umgang mit der neuen Vielfalt. Schröder wies darauf hin, dass der Kreis Segeberg schon im vergangenen Jahr die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet habe. (Die „Charta der Vielfalt“ ist eine 2010 in Leben gerufene Unternehmensinitiative zur Förderung von Vielfalt in Unternehmen und Institutionen.) Mit verschiedenen Programmen (Sprachförderung, der Schaffung eines Freiwilligenmanagements, zusätzlicher sozialpädagogischer Unterstützung und der Weiterleitung von Geldern für die ehrenamtliche Betreuung in den Ämtern und Gemeinden) möchte die Kreisverwaltung dazu beitragen, den Flüchtlingen den Weg in die Mitte der Gesellschaft zu ebnen. Spürbarer Stolz klang durch, als Schröder auf die spontane Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung hinwies: In vielen Kommunen formieren sich ehrenamtliche Gruppen, die den oft traumatisierten Flüchtlingen den Weg in die Gesellschaft erleichtern wollen.

Wichtig sei es freilich, dass sich die Wirtschaft ebenfalls einbringe ─ „denn am ehesten gelingt Integration durch Arbeit“. Herr Oberbürgermeister Grote ließ sich entschuldigen, er war erkrankt, und ließ folgende Stellungnahme durch Herrn Prof. Soltwedel vortragen: Die Zwänge durch das Schrumpfen der Bevölkerungszahl verdeutlicht am Beispiel Norderstedts: Trotz stetig steigender Einwohnerzahlen in den letzten Jahren ist bereits jetzt festzustellen, dass der prozentuale Anteil der Einwohnerinnen und Einwohner Norderstedts, die älter als 50 Jahre sind, deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt. Und bei den unter 50 Jährigen verhält es sich leider genau andersherum. Eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre liegt für Norderstedt folglich darin, dieser demographischen Entwicklung entgegen zu steuern, denn bereits jetzt signalisieren die Unternehmen, dass der Arbeits- bzw. Fachkräftemangel vor Ort angekommen ist. Der aktuelle Zustrom von Flüchtlingen und Asylsuchenden ist daher eine große Chance für die Region, denn der Großteil der ankommenden Personen ist hochmotiviert, gut gebildet und steht am Beginn des Erwerbslebens. Dieses Potential müssen wir nutzen, um die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes dauerhaft zu sichern.

Aus Sicht der Wirtschaft ergänzte Bernd Jorkisch, Vicepräses der IHK zu Lübeck: „Der Kreis Segeberg verfügt über gute Perspektiven im Zusammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung. Bremse könnte aber die prognostizierte Fachkräftelücke werden. In den starken Wirtschaftszweigen wie zum Beispiel Handel und verarbeitendes Gewerbe droht es, dass im Jahr 2030 jeder fünfte bis zehnte Arbeitsplatz von mittel- und hochqualifizierten Fachkräften unbesetzt bleibt das würde der Region schaden. Aufgabe für uns alle muss es sein, dass zum Beispiel Flüchtlinge sowie Migranten in Summe zügig in die allgemeine Wertschöpfungskette integriert werden das ist gleichsam in humanitärer wie ökonomischer Betrachtung zielführend. Wir erreichen das durch eine gelebte Willkommenskultur, durch intensive Sprachtrainings bis auf Niveau B2, durch die Förderung von Anschlussqualifizierungen, den Aufbau einer Schnittstelle zwischen Flüchtlingen und Unternehmen für eine berufliche Integration sowie durch die Schaffung eines Netzwerkes verschiedener beteiligter Akteure Behörde, Agentur, Verwaltung, IHK, HK, Vereine, Interessierte und Betriebe.“

Herr Kenntemich wies auf die schnellere Nutzung des Arbeitskräftepotenzials zur Fachkräftesicherung hin, die durch die zum 1. März geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen möglich wird. Durch die neue Zuordnung der Asylberechtigten und Kontingentflüchtlinge zum Jobcenter rückt die Vermittlung in Arbeit stärker in den Vordergrund. Schließlich könnten durch frühere Arbeitsaufnahmen nicht nur die öffentlichen Haushalte entlastet werden, sondern könnte zu einer besseren Integration in die Gesellschaft beitragen. Fragen zur Beschäftigungsaufnahme sollten individuell in den AA oder Jobcentern besprochen werden, sie hängen ab vom dem jeweiligen Aufenthaltsstatus (Eintrag in den Dokumenten). Wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen Beginn in Ausbildung oder Arbeit ist die Beherrschung der deutschen Sprache; das Angebot an verschiedenen Sprachkursen sollte weiter ausgebaut werden. Ein Grundproblem für Ausbildung und Beschäftigung sind die häufigen Befristungen des jeweiligen Aufenthaltsstatus.

Die Prüfung und Anerkennung der Bildungsabschlüsse sowie der Berufs- und Studienabschlüsse übernehmen zentrale Prüfstellen. Eine intensive Zusammenarbeit, ein regelmäßiger Austausch unter den Akteuren wird wegen der komplexen rechtlichen Regelungen und der ständigen Veränderungen aufgebaut. Soltwedel erklärte abschließend: „Wir wenden uns heute, mehrere Monate vor der Veranstaltung, an die Öffentlichkeit, da wir sowohl Vorbereitung als auch Durchführung als einen offenen Prozess betrachten, der von der Mitarbeit vieler lebt, Ideen und Themen, die wir ─ etwa in Arbeitsgruppen ─ auf dem Workshop diskutieren wollen, sind mehr als willkommen.“ Der Workshop soll in der ersten Julihälfte stattfinden. In den Vorbereitungsprozess und in den Workshop selbst sollen die vielfältigen Gruppen der Betroffenen einbezogen werden ─ Migranten, Kommunen, Unternehmer, soziale und kirchliche Institutionen wie z.B. Diakonie, Volkshochschulen, Schulen, ehrenamtliche Helfer.